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 Kategorie: Thema des Monats Zum jüngsten Beitrag 
Thema: Ganztagesschule redaktionsteam - 04.06.2012 09:11 

Liebe Leserinnen und Leser,

diesen Monat soll es um unser Bildungssystem gehen. Vermehrt werden zur Zeit Ganztagesschulen geschaffen bei den weiterführenden Schulen aber auch den Grundschulen.

Kann man diese Einrichtungen auch von der psychographischen Seite beurteilen und Vor- und Nachteile für unsere Typen darin erkennen?

Für wen ist solch eine Schule eher ein Vorteil und für wen weniger geeignet?

Gibt es darin Unterschiede Grundschule - weiterführende Schule?

Ich bin gespannt!

Schönen Juni und viele Grüße von Marion / Redaktionsteam 

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A1   RE: Ganztagesschule werner - 07.06.2012 09:58 

Was die Bildungslandschaft angeht, finde ich die Ganztagesschulen einen totalen Irrweg. Noch mehr von dem was nicht funktioniert. Der Satz: "Wir lernen das ganze Leben - außer in der Schulzeit" ist vielleicht übertrieben, aber wenn ich daran denke, wie viele langweilige und sinnlose Stunden ich abgesessen habe, könnte ich heute noch heulen.

Kinder sollten Raum zum Lernen bekommen, interessante Angebote und Lehrer, die ihr Wissen und ihre Kenntnisse gerne weitergeben. Ohne Stundenpläne, Noten und vor allem ohne Schulpflicht. Stattdessen Bildungsgutscheine, die dort eingelöst werden dürfen, wo gute Angebote gemacht werden. Und parallel ein freier Markt für Schulen und die Möglichkeit für jeden, Unterrichtsangebote zu machen und zu unterrichten.

Das würde dann auch automatisch zu typgerechten Schulen bzw. Lernangeboten führen.

Unser aktuelles Schulsystem lässt sich aus meiner Sicht nicht renovieren. Das muss komplett abgerissen und neu aufgebaut werden. Und der erste Schritt wären wohl tatsächlich die Bildungsgutscheine und die Freigabe von Schulgründungen. So lange staatliche Stellen meinen, sie wüssten besser als die Kinder, was zu lernen wichtig wäre, geht das schief. Man muss sich wundern, dass trotzdem relativ viel Gutes passiert an den derzeitigen Schulen :)

Aber zum Lernen nochmal: Das Leben selbst ist eine Ganztagsschule, würde ich sagen. Man kann nicht nicht lernen. Die Frage ist nur: was lernt man?

Werner (Beziehungstyp, wir-verbunden, zukunftsorientiert, Denker - 123-Code: 1332)

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A2   RE: Ganztagesschule mary - 08.06.2012 11:05 

Tja, so wäre es ideal.... - aber leider wird weder das Schulsystem revolutioniert noch wird auf die verschiedenen Typen gezielt eingegangen (meistens).

Werner, du warst aber nicht auf einer Ganztagesschule, oder?

Grüße Marion (BT,Denker,Wir,Zukunft)

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A3   RE: Ganztagesschule werner - 09.06.2012 07:49 

Zitat:

Werner, du warst aber nicht auf einer Ganztagesschule, oder?


Nein, das nicht - aber schon damals war in den höheren Klassen die zeitliche Beanspruchung inkl. Hausaufgaben so hoch, dass es einer Ganztagesbeschäftigung nahe kam. Täglich vier Stunden Schule müssten völlig ausreichen, denke ich. Aber vermutlich hat jede Gesellschaft (bzw. die darin vorherrschende Meinung) die Schule/n, die zu ihr passen ...

Werner (Beziehungstyp, wir-verbunden, zukunftsorientiert, Denker - 123-Code: 1332)

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A4   RE: Ganztagesschule nele - 10.06.2012 10:18 

Es ist meiner Meinung nach schwierig, ein Für oder ein Wider zum Thema Ganztagsschule auszusprechen. Ich  bin ambivalent – wie könnte es bei mir als ST auch anders sein? :o)

Zum einen sehe ich es als eine Art „Entmündigung“ der Eltern, wenn die Ganztagsschule zum Pflichtprogramm wird. Viele wichtige Erziehungsmöglichkeiten werden Eltern genommen, familiäre Lernprozesse verhindert.

Zum anderen habe ich leider im (offenen) Ganztag viele überforderte Eltern erlebt, deren Kinder im Ganztag sehr gut untergebracht waren. Dasselbe gilt für bildungsferne Familien. Mit Hilfe des Ganztags kann diesen Kindern eine Chance geboten werden.

 Den Ganztag würde ich nicht auf eine Stufe stellen mit „schulischem Lernen den ganzen Tag“, denn es passiert dort Vieles, was auch im Leben „draußen“ gelernt wird. Ich habe Kinder in der 5. und 6. Klasse erlebt, die dort erst gelernt haben, wie Obst und Gemüse geschnitten wird, Brote geschmiert werden etc. Das Führen von Gesprächen, anderen zuhören, seine Meinung äußern, ist für einige Kinder bis dahin fremd gewesen. Viele Familien leisten das heute nicht mehr. Angebotene AGs lassen Ausprobieren zu, was hinterher verworfen oder ausgebaut werden kann. Freispiel ohne Kontrolle Erwachsener kommt für meine Begriffe allerdings zu kurz, doch das erlebe ich in vielen Familien nicht anders. Da geht es darum, als Erwachsener einfach mal nur zuzuschauen, den Kindern ihre eigenen Konsequenzen / Lernprozesse für ihr Handeln gönnen.

 Wir können uns nun stundenlang austauschen über diese Problematiken, die Hintergründe, Lösungen dazu erarbeiten. Die Frage in diesem Thread lautet jedoch, wie wir die Situation psychographisch betrachten. Meine Beobachtungen bei Grundschulkindern:

 BT-Kinder finden, wie fast überall, sehr schnell Anschluss, nehmen eine Gruppe als Familienersatz schnell an, sind aber auch leichter gefrustet, wenn es nicht nach ihrer Mütze geht. Dann folgt das Drama. Gerade zu Beginn des Schuljahres übernehmen sie oft wichtige Funktionen sozialer Art. Beim Beobachten einiger BT-Kinder über mehrere Jahre zeigen sie ihre unterschiedlichsten Seiten – oft ohne „Vorwarnung“ – immer für eine Überraschung gut. Die bereits angesprochenen AGs sind für sie wunderbar. Die häufig wechselnden Interessen können so gelebt werden.

 ST-Kinder ermüdet das Tohuwabohu schnell. Sie brauchen lange, bis sie sich an die ständige Beschallung gewöhnt haben  und weinen zu Beginn öfter. Ein ST-Mädchen erinnere ich, die in der 1. Klasse manchmal bereits zu Schulschluss einschlief und schlafend in den Ganztag gebracht wurde. Dieses Kind wäre sicher zu Hause besser aufgehoben gewesen. Wenn sie sich etabliert haben, sind sie eine feste Größe. Die personelle Situation im Ganztag kenne ich leider als unzureichend, sodass hier die Stillen sehr leicht übersehen werden und lange Zeit leiden können, ohne dass es bemerkt wird.

 HT-Kinder habe ich manchmal erlebt wie im Lehrbuch beschrieben. Sie führen bald eine Gruppe an, sind die Aktiven. Zu Beginn kenne ich ihre Bemühungen um einen gewissen Ruf eher als ungeschickt, manchmal sogar rüpelhaft, aber nach der Eingewöhnungszeit haben die meisten sich ihren Platz regelrecht erkämpft. Ein HT-Mädchen z. B. sorgte ständig dafür, ein anderes Mädchen in ihrer Nähe zu haben, dem sie in unterschiedlichen Bereichen ihre Unterstützung „aufdrängte“. Sie tat alles für die angeblich Hilflose, hätte ihr sogar die Hausaufgaben gemacht, wenn wir es zugelassen hätten.

 Doch egal, welcher psychographische Typus den Ganztag besucht, es ist immer auch Stress für die Kinder, solange nicht die Bedingungen geschaffen werden, wie Kinder sie für eine gesunde Entwicklung benötigen. Außerdem wird an so einem langen Tag fern von zu Hause sehr schnell deutlich, was das Elternhaus an Sicherheit und Persönlichkeit bereits mit auf den Weg gegeben hat.

 @ Werner: „Aber zum Lernen nochmal: Das Leben selbst ist eine Ganztagsschule, würde ich sagen. Man kann nicht nicht lernen. Die Frage ist nur: was lernt man?“ Ich stimme, dir, Werner, in dieser Hinsicht voll und ganz zu. Kinder, die bereits von zu Hause aus gestärkt in neue Situationen hinein gehen, können jedoch eine miese Erfahrung als solche verbuchen, ohne Schaden zu nehmen. Traumen gibt es leider überall (ebenso in Familien) – da braucht es Prävention und Unterstützung von verschiedenen Seiten.

Ein Thema, das mich aufwühlt ...

Heike (ST, Du, Zukunft, Denkerin - 2132)

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A5   RE: Ganztagesschule mary - 11.06.2012 17:07 

Vielen Dank Heike für deinen langen Beitrag und deine praktischen Erfahrungsbeispiele! Das ist super!

Die habe ich noch nicht, aber ich vermute, dass hier auch wieder stark die Untertypen zum Tragen kommen. Für einen Ich-Bezogenen bringt es wahrscheinlich Vorteile, da er automatisch in seine Ressource Wir gedrängt wird. Du und Wir-bezogenen haben da es vielleicht schwerer und leiden eventuell darunter.

Was ist mit den HTs?  Kann es bei ihnen nicht noch leichter zu einer Reizüberflutung kommen, da sie dort kaum die Möglichkeit haben mal eine Ruhepause einzulegen und runter zu kommen....?  Gerade in der Grundschule? 

Außerdem gestaltet wahrscheinlich auch jede Schule ihren Alltag und die Möglichkeiten anders, was auch wieder Unterschiede macht.

Und ich teile deine Ansicht, Heike,  dass es ja natürlich auch auf die familiäre Situation ankommt und es für machen Kids tatsächlich besser ist dort "aufgehoben" zu sein!

Grüße Marion (BT,Denker,Wir,Zukunft)

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A6   RE: Ganztagesschule werner - 11.06.2012 19:32 

Ich möchte bei der Gelegenheit auf einen gewissen John Caldwell Holt hinweisen, einen 1985 verstorbenen Pädagogen. Über ihn gibt es einen starken Wikipedia-Beitrag, auf dem es u.a. heißt:

"Holt ging dabei der Frage nach, warum Kinder in der Schule mit der Zeit das Interesse am Lernen verlieren. Er kam zu dem Schluss,  dass dies daran liegt, dass die Schüler Angst haben, falsche Antworten  zu geben und von Lehrern und Mitschülern verspottet zu werden und nicht  gut genug zu sein. Dies werde weiter dadurch verschlimmert, dass Schüler  gezwungen werden, Dinge zu lernen, die sie nicht notwendigerweise  interessieren.

(...)

In seinem 1974 erschienenen kinderrechtlichen Buch Escape from Childhood  forderte er das Recht der Kinder, über ihr Lernen selbst zu bestimmen,  d. h. selbst zu entscheiden, was, wann, wo, wie, wie viel, wie schnell  und mit welcher Hilfe sie lernen wollen, sowie das Recht zu entscheiden,  ob sie zum Lernen eine Schule aufsuchen wollen, und wenn ja: welche und  für wie lange. Er begründete dies damit, dass die Lernfreiheit Teil der  Gedankenfreiheit sei und diese noch fundamentaler als die Meinungsfreiheit sei"

Auf diesem Hintergrund würde ich z.B. Heike unterstützen beim Gedanken, dass zu viel Schule die Rechte der Eltern einschränkt. Letztlich geht es - wie so oft - um die Frage, wieviel Freiheit der Einzelne in einem Staatswesen bekommt und wo zu viel Freiheit dem Gesamten Schaden zufügt.

Ich glaube, wenn Kinder die Freiheit (also die Wahlfreiheit) hätten, ob sie in die Schule, in eine Ganztagsschule gingen oder sich selbst, mit ihren Eltern, bilden wollen - dann wäre jede dieser drei Entscheidungen eine "gute"; vor allem, wenn sie jederzeit wechseln könnten und nicht zu etwas gezwungen würden.

Schon wenn das Unterrichtsprogramm wie ein Büffett organisiert wäre und die Schüler sich ihre Lehrer und Themen aussuchen dürften, wäre viel gewonnen - auch im Hinblick darauf, dass unterschiedliche Typen unterschiedliche Interessen, Lerngeschwindigkeiten, Vorlieben und Motivatoren zeigen.

Werner (Beziehungstyp, wir-verbunden, zukunftsorientiert, Denker - 123-Code: 1332)

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A7   RE: Ganztagesschule nele - 11.06.2012 23:00 

Ja Marion, die Untertypen verändern natürlich hier wie anderswo auch alles. Ob die Ich-Bezogenen allerdings Vorteile haben, weil sie in ihre Wir-Ressource gedrängt werden, wage ich zu bezweifeln. Sie sind sicher eher in der Lage, sie selbst zu sein, sich inmitten des Chaos´ mit sich selber zu beschäftigen, doch an einem langen Tag, der für kleine Kinder sehr anstrengend ist, auch noch Ressource leben zu MÜSSEN, weil sie keine Rückzugsmöglichkeit haben, macht es ihnen oft schwer. Da sind die Wir-Bezogenen klar im Vorteil. Du-Bezogene habe ich dann als sehr zufrieden erlebt, wenn sie sich ihre kleine Insel mit einem oder zwei anderen Kindern (oder auch BetreuerInnen) schaffen konnten und so das große Ganze ausblenden. Ich gehe davon aus, dass in psychographischem Sinn Ressource nur dann wirklich Entwicklung ist, wenn sie auch gelebt werden kann, ohne ständig zu überfordern.

 Die Reizüberflutung (in der Ausprägung natürlich unterschiedlich) habe ich bei fast allen Kindern erlebt – der Umgang damit war sehr unterschiedlich. Ein sehr schönes Erlebnis war, dass ein HT-Junge, der in der Gruppe seinen Ruf als lautes und anstrengendes Kind aufrecht erhielt, bei Entspannungsübungen mit wenigen Kindern einschlief und sich einfach das an Ruhe holte, was er so dringend brauchte. Im Vorfeld holte er sich bei mir die Erlaubnis, ob er auch einfach nur schlafen dürfe. Ich versprach ihm, ihn zu wecken, sobald die Zeit der AG vorbei wäre. So schlief er. Diese Erfahrung hat für ihn verändert, dass er auch später in der Gruppe hin und wieder eine Ecke aufsuchte, um sich zurückzuziehen.

 Für mich als Du-Denkerin sind diese vielen Reize von so vielen Menschen, die alle zu verarbeiten sind, unglaublich anstrengend. Meine Kollegin als Wir-Macherin hatte diese Schwierigkeiten nicht. Ruckzuck hatte sie Kinder um sich geschart, um mit ihnen gemeinsam etwas zu „machen“. Ich dafür liebte die kleinen AGs, die Hausaufgabenbetreuung, die Erarbeitung von Problemlösungen mit wenigen Kindern.

 Auch dort wäre der psychographische Ansatz vonnöten (was für uns Psychographen ja nichts Neues ist): Für die unterschiedlichen Einsatzbereiche im Ganztag braucht es unterschiedliche Typmischungen beim Betreuerteam.

 Werner, das, was du von Holt zitierst, ist verlockend. Die meisten Erwachsenen gehen noch heute in die Schule ihrer Kinder mit gemischten Gefühlen, weil sie genau diese schrecklichen Erinnerungen in ihrer eigenen Schulzeit gemacht haben. Ausgelacht werden, für dumm gehalten werden, das Gefühl haben, ein schlechter Schüler = schlechter Mensch zu sein – diese Erfahrungen sitzen tief. Leider gibt es auch heute noch Lehrpersonal, das selbst die eigenen Verletzungen nicht verarbeitet hat und unfähig ist, Spaß am Lernen zu vermitteln, die kindliche Neugier zu fördern. Das gilt allerdings gleichermaßen auch für Eltern. Ein eigenes Lerntempo ist schwer zu entwickeln, wenn die Kinder von einem Termin zum nächsten kutschiert werden. Sie sollen, wenn möglich, sowohl beim Ballett als auch beim Musizieren glänzen. Noch immer polieren Erwachsene ihr eigenes Ego mit den Leistungen ihres Nachwuchses auf. Noch immer fühlen sich Eltern schlecht, wenn ihr Kind eine Niederlage erlebt. Das Wissen, dass es niemals Fortschritt gegeben hat ohne vorherige Fehlversuche, scheint nur für andere zu gelten.

 Das Büfett wäre eine feine Sache, ist hin und wieder ein klein wenig realisiert. Kinder brauchen zunächst Begleitung, um sich zurecht zu finden. Dafür sind sie später um so selbstständiger. Dieses „später“ nimmt die zuständige Politik meiner Meinung nach nicht wahr, denn die Kosten für „jetzt“ werden immer als Grund genannt,  um die Realisierung nicht stattfinden zu lassen.

 Auch Jörg Dräger hat in seinem Buch „Dichter, Denker, Schulversager“ meiner Meinung nach gute Ansätze, wenn auch ohne psychographische Kenntnisse – aber diese können wir ihn ja noch lehren :o)

 

Heike (ST, Du, Zukunft, Denkerin - 2132)

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